Emotionale Achterbahn

Das Leben und Arbeiten hier bedeutet ein emotionales Hoch und Tief. Häufig folgen diese Gefühle dicht aufeinander und sind etwas extremer ausgeprägt als mir mit meinen 30 Jahren bekannt. Also zumindest in den letzten Jahren. Die letzten emotionalen Schwankung dieser Art hatte ich wohl im Teenager-Alter. Nun gut. Ich möchte euch ja nichts vorenthalten – von daher gibt es hier mehr über meine emotionalen Unzulänglichkeiten zu lesen.

Wie immer muss ich aber einen kurzen Exkurs geben, bevor ich mit dem eigentlichem Thema starten kann. Denn ich habe falsche Informationen an euch weitergegeben. Richtig echte FAKE-NEWS. Es dreht sich um das Thema öffentliche Verkehrsmittel. Tatsächlich sind die Piki Pikis nach den richtigen Taxis die teuersten öffentlichen Verkehrsmittel. Ich entschuldige mich vielmals für diese Falschinformation und möchte mit der folgenden Preisliste alles wieder berichtigen. Also:

  • Piki Piki (Motorrad): pro Strecke 2000 THS, wenn der Fahrer bei Einkäufen wartet 1000TSh
  • Boda Boda (Tuc Tuc): 500 THS pro Fahrt. Hier fährt man aber nicht alleine, es kann durchaus sein, dass bis zu 3 Mitfahrer zusteigen, die in dieselbe Richtung möchten.  Aber Achtung, manche nennen auch die Piki Pikis „Boda Boda“. Das kann verwirren.
  • Dalla Dalla (Bus): 400THS pro Fahrt, die Busse werden meist sehr voll gepackt.

Der Wechselkurs ist in den Wechselstuben ca. $1 = 2100THS.

So. Nun aber zu der Achterbahn. Häufig schwanke ich in meinen Stimmungen zwischen Freude, Erstaunen, Ärger, gernervt sein, frustriert sein, zu gerührt sein und totaler Euphorie.

Fangen wir mit den schlechten Dingen an. Die, die mir Ärger bereiten, oder Dinge, die mich frustrieren. Da gibt er verschiedene Baustellen. Es ist wirklich nervig, wenn ständig der Strom ausfällt, das Internet furchtbar langsam, oder wieder mal kein Wasser da ist. Diesen Luxus in Deutschland habe ich erst jetzt richtig schätzen gelernt. Außerdem ist es wirklich Luxus wenn man sich einwandfrei verständigen kann. Manchmal ist es echt frustrierend, wenn man sich selbst mit Händen und Füßen nicht versteht. Ich bemühe mich tatsächlich, Swahili zu lernen. Aber das fällt mir echt schwer. Die Grammatik ist so anders, dass ich selbst im Verstehen große Probleme habe.

Ferner ärgert mich die unterschiedliche Behandlung aufgrund der Hautfarbe. Und das in beide Richtungen. Man kann sowohl bevorzugt als auch schlechter behandelt werden, wenn man weiß ist. Ich habe mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass Ärzte häufig den Patienten keine genauen Auskünfte über ihren Gesundheitszustand geben. Wenn ich dabei bin, werde zuerst ich angesprochen. Mir wird alles genau erklärt, ich werde um meine Meinung gefragt und in jede Entscheidung mit einbezogen. Der Patient? Keine Chance. Gut, dies wird nicht ausschließlich mit der Hautfarbe zusammenhängen, sondern auch mit meinem Fachgebiet, aber man merkt, dass es seinen Anteil hat.

Häufig sind auch Dinge auf der Arbeit frustrierend. Ich habe letzte Woche damit begonnen, den BMI (Body-Mass-Index) von Schulkindern einer Primary School in den Dörfern zu messen. Zur Info, die Primary School geht hier von Klasse 1 bis Klasse 6. Fun Fact: Das tanzanianische Wort für Schule ist „Shule“ 🙂 Wie dem auch sei: ein Großteil der Kinder hier hat einen zu niedrigen BMI. Unter den Kindern mit einem geringen Gewicht gibt es nochmal einige, die nicht mal mit viel Phantasie und gutem Willen an der Grenze zum Normalgewicht kratzen. Viele Kinder werden ohne Frühstück in die Schule geschickt und haben auch nichts dabei um in der Schule etwas zu essen. Bestehende „Lunch-Pogramme“ mussten aufgrund politischer Entwicklungen (ich möchte hier nicht näher darauf eingehen) gestoppt werden. Daher meine große Sorge, wie es um die Kinder stehen soll, wenn sich nicht irgendetwas ändert. Aber das ist aus verschiedensten Gründen nicht so einfach. Ich bitte an dieser Stelle mir einfach zu glauben, dass die Lösung vermeintlich einfach scheint, tatsächlich aber nicht einfach ist. Und ja, das frustriert mich sehr. Aber gut, mal sehen was sich noch bewegen lässt.

Es gibt natürlich auch Dinge, die mir Freude bereiten. Insbesondere das Arbeiten mit den Kindern macht mir gigantischen Spaß. Es ist wirklich toll, von den Kleinen so eine fantastische Reaktion zurück zu bekommen. Auch wenn diese nicht ein Wort Englisch sprechen. Wir verstehen uns. Hier habe ich wirklich das Gefühl, einen Beitrag zu leisten und wichtige Arbeit zu verrichten. Das Verrückte ist: Die Kinder verstehen, dass selbst wenn ich mit ihnen Dinge machen muss, die nicht schön sind, oder sogar weh tun, dass dies zu ihrem Besten ist. Und das, obwohl man sich verbal kaum verständigen kann. Hierzu möchte ich gerne ein paar Beispiele geben:

Zunächst mein kleiner verbrannter Patient. Das Mobilisieren der Gelenke und die Gewebsmassagen sind wirklich nicht angenehm, aber er freut sich immer total, mich zu sehen. Außerdem freut er sich auf die Behandlung. Und selbst wenn es unangenehm wird, macht er brav mit. Ich muss gestehen, er wird auch mit Vaseline bestochen und anschließend werden immer Fotos gemacht. Unten habe ich ein Foto von uns:

Dann habe ich noch meinen kleinen Skoliose-Patienten. Der Kleine ist ein Massai und lebt bei seinen Großeltern. Seine Eltern haben ihn nach der Geburt verlassen. Ich wollte für ihn ein Korsett anfertigen lassen, weshalb wir mit ihm zweimal ins Krankenhaus in die Stadt fahren mussten. Ich muss dabei erwähnen, dass es bereits über zwei Stunden gedauert hat, um von dem Dorf bis in das Krankenhaus zu kommen. Und die Fahrt war in äußerst beengten Bussen, mit hohem Schwitz- und geringem Sauerstoffgehalt. Im Krankenhaus selber waren wir über drei Stunden. Hier wurde untersucht, gemessen, Röntgenbilder gemacht und ein Gipsabdruck vom Rücken angefertigt. Der Kleine hat sich nur beschwert, wenn man ihn auf den Rücken legen musste. Aber das tut ihm nun mal auch weh. Ansonsten? Kein Mucks. Alles brav mitgemacht. Meine Gastschwester weint dagegen schon, wenn sie mal eine halbe Stunde nicht beachtet wird. Bitte nicht falsch verstehen. Aber so süß sie ist, so anstrengend kann sie sein. Unten habe ich zwei Fotos von dem Kleinen und mir, während wir auf das Anpassen des Korsetts gewartet haben.

Wo ist Isaaki?
Daaaaa ist Isaaki!!!

Tatsächlich war das Korsett innerhalb von drei Tagen komplett fertig. Das habe ich wirklich nicht erwartet. Die Uhren ticken hier gewöhnlich deutlich langsamer. Von daher war ich echt erstaunt, dass das so schnell ging. Und das Korsett ist wirklich gut geworden. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Kleine ein wirklich schwieriger Casus ist. Schade fand ich an der Stelle, dass Patience (Meine Übersetzerin) zu mir meinte, dass das nur deshalb so abgelaufen ist, weil ich dabei war. Ich hoffe sie wollte einfach nur nett sein. Wie dem auch sei, wir haben innerhalb kurzer Zeit ein gutes Korsett für Isaak erhalten und die Ärzte und Techniker haben tolle Arbeit geleistet.

Vicky watching „Frozen“ and dancing to the singing parts <3

Wie man sieht, gehen hier auch große Freude und Frustration schnell miteinander einher. Wenn man dies nicht gewohnt ist, muss man sich hier definitiv auch die Zeit nehmen, um gewisse Eindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten. Es ist wichtig, dass man sein Privatleben hier dennoch genießen kann, dies auch tut und sich nicht bei allem schlecht fühlt. Manchmal ist das aber nicht so einfach. In dieser Woche habe ich einen Arbeitstag ausgesetzt und tatsächlich über 20 Stunden geschlafen. Info an eventuell besorgte Familienmitglieder: Ich habe keine Malaria und bin auch ansonsten nicht krank. Aber die Arbeit ist körperlich und mental schön, wie auch anstrengend.

Zurück zum Genießen. Ich habe hier tatsächlich auch schon „Freunde“ gefunden und verbringe meine Freizeit nicht „nur“ Zuhause. Wie es der Zufall will, gibt es direkt die Straße runter eine Bar. Die „Bikers Bar“. Und japp, ich fühle mich dort wohl. Ich war jetzt schon des Öfteren da und habe dort auch schon ein paar neue Menschen kennengelernt. An Freitagabenden ist immer Karaoke und das ist echt witzig. Ich kann zwar nicht singen und tue es auch nicht, aber man lernt hier schnell Menschen kennen. Die meisten sind hier sehr aufgeschlossen und kommunikativ. Selten sitzt man lange alleine an einem Tisch, was wirklich Spaß macht. In Deutschland würde das viel länger dauern. Da muss man fremde Wesen erst einmal vorsichtig beschnuppern, bevor die Person im Rudel zugelassen wird. Hier ist es eher anders herum. Man ist schnell mittendrin und fliegt eher raus wenn man sich blöd anstellt.

Girls night out and Vicky also wants to be on the picture 😉

Nächste Woche habe ich Geburtstag. Und zur Feier des Tages fahren wir mit ein paar Leuten übers Wochenende nach Sansibar. Achtung … Mädchenreaktion: Wuhuuuuuuuu!!! Ich sag euch, ich freu mich 🙂

 

2 Antworten auf „Emotionale Achterbahn“

  1. Heftig … Fühlt sich alles irgendwie gleichzeitig an, als wenn man unentwegt von einem Emotionstopf in den nächsten plumpst. Zwei Fragen: Wer finanziert das Korsett von Isaak? Muss seine Familie das selbst bezahlen? Und: Gibt es vielleicht Möglichkeiten, wie man von Deutschland aus helfen kann?
    LG 🙂

    1. Hallo,
      Das Korsett von Isaak wird von F.T. Kilimanjaro bezahlt. Die Familie selber könnte dass nicht bezahlen. F.T. Kilimanjaro hat einen gewissen Budgettopf der für solche Fälle genutzt werden kann. Auf die Frage wie man aus Deutschland helfen kann, gibt es vor allem die eine Antwort die sich wohl jeder denken kann 😉 Die entsprechenden Daten könnte man auf der Webseite finden. Ansonsten ist Hilfe von Deutschland aus eher schwierig. Es sei denn jemand mit entsprechender beruflichen Fachkenntnis hat spontan das Bedürfnis auszuwandern 😉

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